“...dem wahren Kino in Luxemburg den Weg bereiten.” Anfänge einer luxemburgischen Filmkultur in Evy Friedrichs Magazin „Le Film Luxembourgeois“ (1927-1934)
1895 erwecken die Gebrüder Lumière in einem Café in Paris das erste Mal gefilmte Bilder zum Leben. Diese Vorführung von zehn Kurzfilmen gilt als Geburtsstunde des Kinos. Knapp dreißig Jahre später steckt die Filmkultur in Luxemburg jedoch noch immer in den Kinderschuhen.
Eine Gruppe junger Cineasten, angeführt vom späteren Filmpionier Evy Friedrich (1910-1989), will dies ändern: 1927 gründen sie die erste Luxemburger Filmzeitschrift Le Film Luxembourgeois, die mit einigen Unterbrechungen bis 1934 erschien.
Der Kulturkampf um ein neues Medium
Erklärtes Ziel der zweisprachigen Publikation (Deutsch und Französisch) ist „dem wahren Kino in Luxemburg den Weg [zu] bereiten“, wie im Gründungsmanifesto der ersten Ausgabe zu lesen ist. „[D]em schlechten Filme aber werden wir einen unerbittlichen Kampf liefern“, drohen die jungen Herausgeber selbstbewusst. Die hier mit Pathos vorgetragene ästhetische Differenzierung zwischen „wahrem“ und „schlechtem“ Kino ist symptomatisch für die prekäre kulturhistorische Stellung des Mediums am Anfang des 20. Jahrhunderts. Analog zu kulturkritischen Diskursen, die man heute in Bezug auf Videospiele lesen kann, wurde dem jungen Medium Film einstweilen jeglichen künstlerischen oder kulturellen Wert abgesprochen. Der Schriftsteller Alfred Döblin (1878-1957) etwa sieht im Kino ein „Theater der kleinen Leute“ (1909), das sich durch eine banale Ästhetik und einem Hang zur Trivialität auszeichne. Die wenigen Filmenthusiasten hingegen unterstreichen die revolutionäre Verve des Mediums und erheben es zu einer neuen, eigenständigen Kunstform. Der hier kurz angerissene Diskurs bildet den Leitfaden vieler Beiträge in Le Film Luxembourgeois, die von einer tastenden Suche nach formalästhetischen Kriterien für den Film geprägt sind. Somit findet sich hier auch die Geburtsstunde der luxemburgischen Filmkritik, mit Rezensionen u. a. zu Fritz Langs Metropolis (1927), F. W. Murnaus Faust (1926) oder Buster Keatons College (1927).
Das Filmgesicht nach Batty Weber
Unterstützung für ihre Unternehmung finden die jungen Filmenthusiasten bei Autor und Feuilletonist Batty Weber (1860-1940), der 1927 in der sechsten Ausgabe der Film Luxembourgeois in einem Interview seine Begeisterung für das Kino kundtut. Webers Reflexionen fokussieren sich vor allem auf die gestische Darstellung des Schauspielers im Film, wobei immer wieder die Differenzierung zum Theater unterstrichen wird: „Die wilde Poesie des schönen Menschenkörpers kann nie auf der Bühne so wie im Kino sich zur Geltung bringen.“, unterstreicht er und schlussfolgert: „Ach im Film gibt es ja heute bereits viel beseeltere Schauspielkunst als auf der Sprechbühne. Weil es […] auf das Spiel der Gesichtsmuskeln und der Augen ankommt.“ Hier bezieht sich Weber auf den von D. W. Griffith (1875-1948) popularisierten Close up (Nahaufnahme, insbesondere des Gesichtes), der sich früh zu einer Standardeinstellung des Kinos entwickelte. Mit seinen Analysen reiht sich Weber nahtlos in den internationalen filmtheoretischen Diskurs seiner Zeit ein. Das durch das neue Medium Film gesteigerte Interesse am physiognomischen Ausdruck reflektiert sich etwa in Béla Balázs’ (1884-1949) Pionierwerk Der sichtbare Mensch (1924), das Mimik und Gestik des Menschen in den Mittelpunkt seiner filmtheoretischen Überlegungen stellt. Herausgeber Evy Friedrich selbst war ein Bewunderer von Balázs’ Theorien, rezensierte er doch 1931 dessen Buch Der Geist des Films und kommt zum Schluss: „Wenn ein Filmfreund oder ein Fachmann ein Buch besitzen muss, dann ist es dieses.“
Der Tonfilm in der Kritik
Balázs postuliert in seinem Werk das Aufkommen einer durch den (Stumm)-Film dominierten visuellen Kultur, die die bisherige Schriftkultur ablösen würde. Gerade jene Dominanz des Bildes, die die frühe ästhetische Rezeption des Kinos bestimmte, wird jedoch alsbald durch eine technologische Innovation in Frage gestellt: den Tonfilm. Diese akustische Revolution fällt genau in die Publikationsphase des Magazins Film Luxembourgeois und bildet den Hintergrund zahlreicher Kontroversen – mit mitunter erstaunlich konservativen Argumentationen. So lehnt Evy Friedrich 1928 den „film parlant“ dezidiert ab und stellt unmissverständlich fest: „[L]e film parlant ne fait pas partie de la Cinégraphie. La Cinégraphie est l’art muet.“ Das hitzig diskutierte Thema wird mehrfach von der Redaktion aufgegriffen. Sogar eine eigene Kolumne mit dem Titel Nos grandes enquêtes – Que pensez vous du Film parlant – Que pensez-vous du Film sonore? wird ihm gewidmet. Insbesondere der „film parlant“ wird von der Redaktion mit Argwohn aufgenommen: „Le film parlant fait du cinéma un théâtre enregistré pour la vue et l’ouïe.“ Auch hier wird also wieder auf die ästhetische Eigenständigkeit des Films gepocht und jede Annäherung an das Konkurrenzmedium Theater scharf abgelehnt. Der Diskurs in Luxemburg spiegelt das internationale Geschehen. Viele Stummfilmgrößen wie Charles Chaplin, Marcel L’Herbier oder René Clair weisen den Tonfilm zunächst zurück. Hierfür gibt es nicht nur ästhetische, sondern auch wirtschaftliche Gründe: Insbesondere Schauspielern gelingt der Wechsel in die nunmehr sprechzentrierte Tonfilmindustrie nicht immer.
Obwohl, retrospektiv betrachtet, nicht jede filmästhetische Argumentation der jungen Redakteure der Film Luxembourgeois nachvollzogen werden kann, kann der Publikation ein wegweisender Pioniergeist nicht abgesprochen werden. Einige Mitarbeiter, an erster Stelle Evy Friedrich selbst, waren später maßgeblich am Aufbau einer luxemburgischen Filmkultur und -industrie beteiligt.
Erschienen in Die Warte, 26. September 2024.
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