Die Leihbibliothek Exkurs zu den Mietbibliotheken

Sammlung zur Luxemburger Bibliothekslandschaft und Buchgeschichte

Jean-Marie Reding

Was tun, wenn das Geld nicht dazu reicht, sich alle Bücher dieser Welt kaufen zu können? Ein Ding der Unmöglichkeit, selbst für heutige Milliardäre.

Der Luxemburger Literaturpapst aus der Zwischenkriegszeit und Journalist Batty Weber (1860-1940) brachte es in der Eröffnungsrede zur Bücherwoche vom 6. bis 13. Januar 1937 auf den Punkt: „Et ass jo gud, daß et Bibliote’ke göt, de’ Bicher ausle’nen u Leid, de’ kee Geld hun, fir sech s’all ze kafen.” (Luxemburger Wort des 07.01.1937). So läßt sich die Existenzberechtigung von Bibliotheken bis heute resümieren.

Gewerbliche Leihbibliotheken

Jedoch achteten immer Moralapostel jeder politischen Couleur darauf, dass der Bürger jeder Klasse und jeden Alters nur Zugang zu „guten” Büchern in Gemeinde-, Pfarr-, Gewerkschafts- oder sonstigen Bildungsvereinsbibliotheken erhalten konnte. Wer nun aber Lust auf „gehaltlose, seichte, unsittliche Lektüre” hatte, konnte sie gegen geringes Geld in Leihbibliotheken ausleihen. Juristisch betrachtet handelte es sich um Mietbibliotheken – Bücher werden gegen Geld vermietet. Da es sich um einen Gewerbebetrieb („location de livres” – seit dem 1. Januar 1970 mehrwertsteuerfällig) handelte, spricht man von in der Fachliteratur lieber von „gewerblichen Leihbibliotheken”. Denn der Begriff „Leihbibliothek” wird bis heute häufig fälschlich verwendet. So sind etwa die National- oder Universitätsbibliothek, die Stadtbibliothek Düdelingen oder die ukrainische Vereinsbibliothek, usw. Institutionen, die nicht-kostendeckende und gar kostenlose Bücherausleihe anbieten. Dennoch sind sie alle keine „Leihbibliotheken” im fachlichen Sinne.

Gewerbliche Leihbibliotheken boten keine Dienstleistungen wie Bibliotheken an; es ging um das reine Geldverdienen auf wenig Raum. Die Bücherecke existierte als Zusatzgewinnmöglichkeit neben anderen Verkaufsartikeln, überwiegend in Kramläden oder Schreibwarengeschäften anzutreffen. Bis Ende der 1960er Jahren, also bis zum Durchbruch des Mediums Fernsehen, war die Leihbibliothek eine einträgliche Einnahmequelle. Mit einem einsetzenden massiven Ausleihrückgang verschwand diese Form des Geldverdienens, so ähnlich wie später die kommerziellen Videotheken/Mediatheken. Der nicht-profitorientierte Video-, bzw. DVD-Verleih existiert heute nur noch in von Steuergeldern finanzierten Bibliotheken. Der bisher ausführlichste Artikel über die Leihbibliotheken Luxemburgs erschien in den Cahiers luxembourgeois (N°1, 2020). Dort wird die Geschichte der Stellvertreter A.P. Jung (Esch/Alzette), J.-P. Scholer (Düdelingen) und Jos. Ehlinger (Luxemburg) behandelt.

Stempel zweier Leihbibliotheken in einem Kriminalroman von Pit Comber.

Grenzüberschreitender Buchverkehr

Ein der Sammlung zur Luxemburger Bibliothekslandschaft und Buchgeschichte der BnL kürzlich geschenktes Exemplar (Comber, Pit: Die kleine Dora spielt falsch, [Düsseldorf], Iltis-Verlag, ca. 1958-1960) enthielt Spuren, welche eine heute unbekannte Ausleihpraxis belegen. Dass Leihbibliotheken sich hierzulande untereinander die Bücher verkauften, bzw. austauschten, ist durch mehrere durchgestrichene Stempel in Flohmarktbüchern einigermaßen bekannt. Seltener zu finden ist der Stempelbeleg, dass, wie hier der Fall, die kleine Leihbibliothek „Mme [Marie/Maisy] Deitz-Rouff“, Bäderstraße Nr. 11, Luxemburg-Stadt, das Buch über die Grenze, nämlich an eine deutsche Leihbibliothek in Trier, die „Leihbücherei Jutz“ (Auf dem Platz 6 [Ex-Weberplatz, Trier-Mitte]), weiterverkauft hatte. Noch seltener in einer Leihbibliothek anzutreffen sind Nummern auf der eigentlich immer leeren Rückseite des hinteren Buchdeckels, von Buchbindern Vorsatz genannt (Verbindung zwischen Einband und Buchblock). Das BnL-Exemplar enthält 13 mit einem Stift wahllos notierte ein- bis zweistellige Nummern. Handelt es sich etwa um irgendwelche Kritzeleien unverantwortlicher Leser? Nein, denn es sind die Lesernummern, vergleichbar mit Bibliotheksausweisnummern. Das Buch war 13mal „vermietet“ worden. Da leider keine Kartei/Leserliste der beiden Leihbibliotheken erhalten sind, sind die Leser hinter den Nummern nicht mehr ermittelbar. Was heutzutage aus Datenschutzgründen auch nicht mehr erlaubt wäre.

Aus der Forschung wissen wir: ab ca. 15 Ausleihen galt ein Leihbibliotheksbuch im Laden als amortisiert – und wurde dann an interessierte Kunden, bzw. andere Läden, verkauft. Es ist also gut möglich, dass Pit Combers Werk nach 13 Ausleihen in einer der zwei Leihbibliotheken bereits als abgeschrieben eingestuft und abgestoßen, d.h. verkauft, wurde. Somit fand diese nicht-belehrende leichte Unterhaltungsliteratur ihren Weg in die bürgerliche Privatbibliothek oder ihre geldeinbringende Weiterverbreitung durch ein Kleinstunternehmen wie die Leihbibliothek.

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