Geheimschrift und Geheimnisse eines Apothekers Über eine Trouvaille aus der Redemptoristenbibliothek
Bereits 1851 haben sich Redemptoristen der französisch-schweizerischen Ordensprovinz in Luxemburg niedergelassen. 1873 sind andere, deutsche Redemptoristen ins Großherzogtum gezogen, da sie auf Grund des Kulturkampfes (ca. 1871-1887), das heißt der Auseinandersetzung zwischen dem deutschen Staat und der katholischen Kirche, ihr Seminar in Maria Hamicolt bei Dülmen schließen mussten (Jesuitengesetz).
Ihre Bibliothek ist damals nach Echternach verlegt worden, bis sie 1898 provisorisch ins Trierer Studienhaus und schließlich 1903 ins neu errichtete Kloster in Hennef-Geistingen überführt wurde. Im Jahr 2006 ist letzteres geschlossen und die Bibliothek aufgeteilt worden (nach Rom, nach Bonn und in den Handel). Die Werke, um die es hier geht, stammen aus dieser ehemaligen Sammlung.
Inkunabeln der Redemptoristenbibliothek
Dank der Wachsamkeit und der zügigen Reaktion des BnL-Personals konnte eine weitere Zerstreuung der für die luxemburgische Bibliotheksgeschichte bedeutenden Bände verhindert werden. Im Jahr 2021 hat sich für die BnL die einmalige Gelegenheit geboten, zahlreiche einschlägige alte Bücher aus der ehemaligen luxemburgischen Redemptoristenbibliothek zu erwerben. Rund 80 Bände wurden akquiriert, die Mehrheit (41 Signaturen: BnL, Inc 53-65, 140-159 und 230-237) davon Inkunabeln, also Frühdrucke, die vor 1501 erschienen sind. Sie werden mehrheitlich im Catalogue CXX. Early Printing & Manuscripts 1290-1520, ‘t Goy, 2021 vom Antiquariaat Forum aufgeführt, der allerdings nie in Umlauf gekommen ist. Da dieser wichtige Ankauf der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden soll, bietet der vorliegende Beitrag einen ersten Einblick.
Viele dieser Drucke sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. So stammt etwa der Wiegendruck Inc 144 mit den Enarrationes in Psalmos von Augustinus von Hippo aus der Benediktinerabtei Altmünster und es ist überaus erfreulich, dass dieser Band bei der Zerstörung des Klosters 1543 nicht vernichtet worden und fast 500 Jahre später unversehrt in die Stadt Luxemburg zurückgekehrt ist. Die Inkunabeln Inc 142, 146 und 149 haben allesamt eine längere Reise hinter sich, denn sie weisen eine tschechische (Brno), österreichische oder polnische (Kartuzy) Provenienz auf. Mehrere Bände (Inc 60, Inc 65, Inc 236, L.P. 7303, L.P. 7306) aus diesem ehemaligen Redemptoristenbestand verfügen über einen spätmittelalterlichen Einband aus der Werkstatt der Benediktinerabtei St. Eucharius und St. Matthias in Trier, was für die Erforschung dieser Werkstatt und für die Regionalgeschichte des Raums Trier-Luxemburg durchaus bedeutsam ist. Ebenfalls von Interesse für die Regionalgeschichte ist die Straßburger Bibel (Inc 54) von 1497, die ehemals im Besitz der Benediktinerabtei Maria Laach und später des Pfarrers von Ospern Johann Adam Macher (im Amt 1793-1797) gewesen ist, und die Inkunabeln Inc 148 mit einer Brüsseler Provenienz, beziehungsweise Inc 53 mit einer Eberhardsklausener. Äußerst rar ist der Kommentar Assertiones ex universa theologia selectae des Erasmus Geldorp (L.P. 2663), da weltweit nur ein weiteres Exemplar bekannt ist. Zu diesen Drucken kommen noch vier Papierhandschriften des 15.-16. Jahrhunderts hinzu, die bei einem Antiquar in Paris ausfindig gemacht werden konnten. Eine davon (BnL, Ms 911) enthält einen bisher unveröffentlichten Text (Septistellium meditationis) u. a. die sieben Todsünden betreffend, der zudem offenbar nur in drei Handschriften überliefert ist.
Zu den bedeutendsten Werken des Erwerbs zählt ein Nikolaus von Kues-Wiegendruck (Inc 159) von ca. 1488, der nicht nur einen spätmittelalterlichen Einband der Benediktinerabtei St. Maximin vor Trier vorweisen kann, sondern auch Fragmente einer überaus seltenen dreispaltigen Bibel des 9. Jahrhunderts einschließt.
Geheimschrift
Enigmatisch ist ein Druck (L.P. 7302) mit den zwei historiografischen Werken des Bischofs Otto von Freising (*um 1111-†1158). Das vordere Spiegel- und das Titelblatt sind mit zahlreichen handschriftlichen Notaten (in lateinischer und griechischer Sprache), einem magischen Quadrat und einem Kryptogramm versehen.
Diese Geheimschrift, bestehend aus u. a. Dreien und Achten, sowie auf einer ihrer Spitzen stehenden Dreiecken und vereinfacht dargestellten Tannenbäumen, konnte von einem BnL-Mitarbeiter entschlüsselt werden: „Possidet me jure Joannes Jodocus Wirtzell pharmacopola Treuirensis anno Domini 1650“, das heißt also, dass im Jahr 1650 der Apotheker Johann Jodocus Wirtzell aus Trier diesen Band besessen hat. Dieser Wirtzel(l), dessen Initialen in Herzform auf dem Titelblatt anzutreffen sind, hat am 16. November 1650 Catharina Wehr geheiratet. Welchen Nutzen dieser Besitzvermerk erzielt, wenn er ausgerechnet in Geheimschrift geschrieben wird, entzieht sich unserer Kenntnis. Ein gewisses Faible für Rätsel und Geheimnisse spiegelt sich auch in den, auf den ersten Blick blasphemisch erscheinenden, Versen unten auf dem Spiegelblatt, wider:
Dilige luxuriam vitium cole destrue sanctos
Iustitiam fuge sperne Deum Satanam venerare
Occidito patrem temnes matrem effuge Christum
Fures conforta crimen lauda mala quere
Semper eris foelix si sic vixisse studebis.
Übersetzung:
Liebe den Luxus, pflege das Laster, stoß die Heiligen von ihrem Sockel,
flieh die Gerechtigkeit, verschmäh Gott, bete Satan an,
töte deinen Vater, verachte deine Mutter, flieh vor Christus,
ermutige die Diebe, lob das Verbrechen, trachte nach Verwerflichkeit:
ewig wirst du glücklich sein, wenn du dich bemühst, auf solche Weise zu leben.
Der Leser darf die ersten vier Verse nicht linear lesen, sondern die passenden Wortpaare müssen vertikal assoziiert werden, damit der intendierte Sinn (cole+Deum = verehre Gott!) klar wird. Auch eine Federzeichnung des Heiligen Rocks in Trier ist auf dem Spiegelblatt zu sehen. Warum die Druckermarke des Petrus Berna Bordeauxrot gefärbt werden musste, bleibt das Geheimnis des betreffenden Benutzers.
Zum letzten Mal aktualisiert am