Das Skriptorium Echternach
Ein Skriptorium benennt eine mittelalterliche Schreibstube, in der Mönche profane und sakrale Handschriften kopieren. Eine solche besteht in der Benediktinerabtei Echternach seit spätestens dem 8. Jahrhundert. Zu den ältesten Zeugen dieser Schreibschule gehören das Thomas-Evangeliar (Trier, Domschatz, Nr. 61) sowie das Stuttgarter Psalterium (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. bibl. fol.12,a-c).
Der Schreibstil dieses ersten Skriptoriums zeichnet sich durch einige kaum identifizierbare eigenständige Merkmale aus. In einem Mischstil, das heißt einem Schreibstil, in dem sich Merkmale der karolingischen Minuskel mit der insularen (ursprünglich von den Britischen Inseln stammenden) Minuskel vermischen, sind drei Handschriften des frühen 9. Jahrhunderts verfasst. Hier ist eine gemeinsame Charakteristik die sehr spitze Schrift (z.B. die langen, schmalen Schäfte der Buchstaben s und r).
Unser Hauptaugenmerk gilt aber dem 11. Jahrhundert, in das die hier vorzustellende Riesenbibel datiert ist. Für das Skriptorium bedeutet dieses Jahrhundert die größte Blütezeit. Die weltweit bekannten Prachthandschriften aus Echternacher Produktion stammen just aus dem Zeitraum 1020-1060, der sich fast gänzlich mit der Amtszeit des Abts Humbert (1028-1051) deckt, dessen Bedeutung für die Entwicklung der Schreib- und Malschule folglich nicht unterschätzt werden darf.
Die Herstellung dieser Meisterwerke der Buchmalerei wird durch zwei wichtige Veränderungen ermöglicht: Einerseits die Entscheidung des Kaisers Otto I. (reg. 962-973), im Jahr 973 die Abtei mit Mönchen aus dem Trierer Reformkloster Sankt Maximin (Gorzer Reform, wichtige Reformbewegung der Benediktiner) neu zu besetzen, andererseits wird die Echternacher Schreibstube unter Kaiser Heinrich III. (reg. 1039-1056) zu einer Art imperialem Skriptorium emporgehoben, was seine Ausstrahlung erheblich stärkt. Fortan arbeiten Mönche und Künstler in Arbeitsteilung sowohl an Büchern für die Bedürfnisse der eigenen Klosterbibliothek als auch an aufwändigen, kostbaren Auftragsarbeiten. Dies passiert nach dem Wiederaufbau der Abtei infolge des Brandes von 1016.
Zu den bekanntesten Vertretern zählen der in Goldtinte geschriebene Codex aureus (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 156142) mit den vier Evangelien und 64 Prunkseiten, der um 1030-1045 hergestellt worden ist, sowie das großformatige (50,7 x 33,5 cm) Evangeliar Codex Escorialensis (El Escorial, Real Biblioteca del Monasterio de San Lorenzo, Vitrinas 17) von ca. 1043-1046, das eine Auftragsarbeit von Heinrich III. ist, die als bedeutendes Geschenk an den Dom in Speyer gestiftet wurde. Hinzukommen das kleinere Evangelistar in Bremen (Staats- und Universitätsbibliothek, msb 0021) mit 38 ganzseitigen Miniaturen, das um 1039-1043 fertiggestellt worden ist, und das Evangeliar, bekannt unter der Bezeichnung Codex Caesareus (Uppsala, Universitetsbibliotek, C93), das ebenfalls einen Kaiserauftrag darstellte, um 1050 produziert und an den Dom in Goslar geschenkt wurde.
Einen großen Einfluss auf die Buchmaler in Echternach haben mehrere Werke des in Trier aktiven Registrum Gregorii-Meisters, die als Vorbilder gedient haben. Die Buchmaler in der Zeit 1030-1046 haben sogar mindestens auf drei Bildervorräte (den Egbert-Kodex, in Trier produzierte Handschriften und eine mittelbyzantinische Vorlage) zurückgegriffen.
Als seltenes Zeugnis der Eigenliturgie ist an der Sauer um 1030 das Echternacher Sakramentar und Graduale (Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs 1946), also ein Buch mit Gebeten zur Feier der Messe und zum Spenden von Sakramenten sowie mit Messgesängen, entstanden. Die darin enthaltenen Neumen (frühe Notenzeichen) sind für die Musikwissenschaft von besonderem Interesse.
Neben den Prachthandschriften werden auch weniger luxuriöse Handschriften in Echternach kopiert. Bereits um das Jahr 1000 entstehen gleich mehrere Schulhandschriften (unter anderem Texte von Boethius), die als sogenannte „Echternacher Klassikergruppe“ bekannt ist.
In unserem Zusammenhang besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass bereits im 9. Jahrhundert, aber auch später, sehr enge Beziehungen zwischen den Skriptorien von Echternach und Sankt Maximin bestanden haben. So wurde beispielsweise der Prachteinband des bereits erwähnten Codex aureus in einer Trierer Werkstatt hergestellt. Einen deutlichen Einfluss von Echternach zeigen die aus einer Sankt Maximiner Inkunabel herausgelösten Fragmente, die heute unter der Signatur Inc. 1102 4° in Trier aufbewahrt werden. Die Handschrift Paris, BnF, lat. 9345 mit Auszügen aus Texten klassischer Dichter (Horaz, Terenz, Juvenal u.a.) wurde vermutlich im 10. Jahrhundert in Echternach von einem Mönch aus Sankt Maximin kopiert. Ähnliches gilt für den Text von Alkuins Vita Willibrordi (Paris, BnF, lat. 10865) aus dem 9. Jahrhundert; die Reihe ließe sich fortsetzen.
Heute sind viele bedeutende Echternacher Handschriften in Europa verstreut. Zu den Codices und Fragmenten aus dem 11. Jahrhundert die noch in Luxemburg aufbewahrt werden zählen u.a. ein Priscian-Kommentar (BnL, Ms 9; 11./12. Jahrhundert), eine unvollständige Bibel (Ms 15; 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts), eine Boethius-Handschrift (Ms 21; 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts), die Werke von Johannes Chrysostomus (Ms 101-102; 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts); die reich verzierte und verhältnismäßig wenig studierte Riesenbibel (Ms 264; 1051-1081), das Obituar I (Ms 369/1) und der einzigartige Abacus (Ms 770; 10.-11. Jahrhundert).
Die meisten Schreiberhände sind anonym geblieben, doch in einigen Fällen sind die Namen überliefert: so zeichnet der Schreiber Ruotpertus für die Niederschrift von gleich fünf Handschriften und einigen Fragmenten verantwortlich. Zu diesen zählen die bereits erwähnte erste Riesenbibel (hier in Zusammenarbeit mit einem gewissen Theodoricus), die fragmentarischen Traktate von Papst Leo I. (Ms 833; 1051-1081) sowie wahrscheinlich ein Teil der erwähnten Boethius-Handschrift. Volkerus ist der Schreiber von mindestens zwei Handschriften in Paris sowie vermutlich eines Sakramentars, von dem sich noch fünf Blätter in Luxemburg erhalten haben (BnL, L.P. 7192 und ANLux, A-XXIX-1217). Eine Pariser Handschrift (BnF, lat. 9666) enthält noch zwei weitere Schreibernamen: Ravangerus und Erebonus. Auch der Name von Humberts Nachfolger, Abt Regimbert (1051-1081), taucht, als Auftraggeber in Begleitung eines Bücherfluchs, in mehreren Handschriften auf.
Nach dem 11. Jahrhundert erfolgte ein gewisser Abschwung, denn das Echternacher Skriptorium hat im 12. Jahrhundert seine Tätigkeit nicht durchgehend ausgeübt.
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