Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien Steffen Hessler
Unser Schreibstil ist wie ein Fingerabdruck – einzigartig. Mit jedem geschriebenen Satz geben wir etwas von uns preis, manchmal mehr als uns lieb ist. Bei Texten, die in krimineller Absicht verfasst werden, wie beispielsweise Droh- und Erpresserbriefe, Phishing-Mails oder Fake-News wird deshalb oft auf Verschleierungsstrategien, Stilimitationen und Stilisierungen gesetzt, um falsche Identitäten vorzutäuschen und die Adressaten in die Irre zu führen. Wie gehen Kriminelle hierbei vor und welche Möglichkeiten hat man, diese falschen Identitäten aufzudecken und relevante Informationen über den tatsächlichen Urheber zu erschließen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die forensische Linguistik, einem interdisziplinären Forschungszweig an der Schnittstelle von Sprach- und Rechtswissenschaften.
Anhand von authentischen Textbeispielen liefert der vorliegende Band von Steffen Hessler faszinierende Einblicke in die Praxis der forensischen Stilanalyse, wobei u. a. Schlüsselwörter, Wortfrequenz, Archaismen, Satzlänge und -komplexität, Emotionalität, Fremdspracheneinfluss, Dialektismen usw. untersucht werden. Ziel der Analyse ist die Erfassung von Metadaten über einen möglichen Autor: Ist er Muttersprachler? Wo fand die sprachliche Sozialisation statt? Welches Bildungsniveau besitzt er? Wie alt ist er? etc.
Besondere Beachtung verdienen hierbei neue Machine Learning-Verfahren, die automatisiert sprachliche Muster aus größeren Textdaten extrahieren können. Diese computergestützten Methoden sind in der Zwischenzeit unumgänglich geworden, da die Digitalisierung der Kommunikationswege eine unüberschaubare Masse an anonym verfassten Texten mit teils kriminalistisch relevanten Inhalten, wie Erpressung oder Hate speech, hervorgebracht hat. Traditionelle qualitative Stilanalysen von einzelnen Ermittlern sind hier wenig sinnvoll. Außerdem erkennen mit riesigen Textkorpora angelernte Sprachmodelle statistisch relevante linguistische Merkmale, die für menschliche Analysten nicht erfassbar sind.
Steffen Hesslers lesenswerte Werk bietet somit nicht nur eine aufschlussreiche Einleitung in einen wenig beachteten Spezialbereich der Linguistik, sondern illustriert überzeugend, wie Methoden und Erkenntnisse aus dieser „Orchideendisziplin“ gesamtgesellschaftlichen Nutzen haben.
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