Limonadenhäuschen in der Stadt Luxemburg Für die Förderung der Volksgesundheit und die Verkehrssicherheit
„Ja, wenigstens einen ganz tüchtigen Verkehrspolizisten haben wir in der Hauptstadt. Allerdings trägt er keine Uniform und es ist eine Frau“, so beschreibt das Escher Tageblatt am 7. Juni 1929 die resolute Limonadenverkäuferin Frau Paul Schank-Berweiler, die das Limonadenhäuschen am Eicherberg betrieb und die durch ihr Engagement für die Verkehrssicherheit in der Hauptstadt eine gewisse Berühmtheit erlangte.
Die satirische Zeitung De Gukuk verewigte sie 1928 sogar in einer Karikatur. Mithilfe eines Polizeistocks, den sie geschenkt bekommen hatte, regelte die „Hilfspolizistin“ neben dem Limonadenverkauf auch noch den Verkehr an der Kreuzung des vielbefahrenen Eicherbergs mit der vom Bäderplatz kommenden Straße, wo sich immer wieder folgenschwere Unfälle ereigneten. Da viele davon durch den selbstlosen Einsatz und das Geschick der Limonadenwirtin verhindert werden konnten, ließ die Stadtverwaltung ihr eine kleine Subvention zukommen, wie das Luxemburger Wort am 25. Juni 1928 berichtete.
Selters- und Limonadenhäuschen gegen die Trunksucht
Der Limonadenausschank am Eicherberg war nicht der einzige seiner Art in der Stadt. 1892 berichtete die Obermosel-Zeitung: „Eine Neuheit bietet die für die heiße Jahreszeit auf dem Constitutionsplatze errichtete geschmackvolle hölzerne Bude, in welcher Selterswasser im Glase an die Spaziergänger vermittelst eines geringen Preises verabreicht wird.“ In anderen Ländern entstanden solche Seltershäuschen ab Mitte des 19. Jahrhunderts, vor allem in Industriestädten, um den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen. Ungekochtes Leitungswasser war oft ungenießbar, so dass die Arbeiter eher zu Bier und Schnaps griffen, um ihren Durst zu löschen. Mit dem Verkauf alkoholfreier Getränke sollte dem Alkoholmissbrauch entgegengewirkt werden, ganz im Sinne der Antialkoholvereine, die gerade im Entstehen begriffen waren. So wurden zunächst Heilwasser und Selters verkauft, später kamen Limonaden, Süßigkeiten und Zigaretten dazu. Der Heilwasserkonsum an den Aubetten sollte wie eine ambulante Kur wirken, und die Verkaufspavillons waren den Trinkhallen in den Kurbädern nachempfunden, um diesen Eindruck noch zu verstärken. Bekannte Luxemburger Mineralwässer stammten aus Bad Mondorf und aus der Quelle Bel-Val bei Beles. Für ihre Qualität sprach, dass sie u. a. auf der internationalen Ausstellung für Lebensmittelprodukte in Brüssel 1893 ausgezeichnet wurden; das Wasser aus Mondorf gewann den Hauptpreis, das Bel-Valer eine Goldmedaille. Das therapeutische Heilwasser aus Mondorf wurde etwa bei Anämie, Appetitlosigkeit oder chronischen Erkrankungen bei Kindern eingesetzt, während die Firma Bel-Val für erstklassiges Tafelwasser stand. Ab 1925 wurde dann auch das Echternacher Heilwasser kommerzialisiert, von dem die Werbung versprach: „Wer an Gicht, Rheuma, Nieren und Blasen leidet, wird durch eine Trinkkur von seinem Leiden Erleichterung und Heilung finden“.
Heilwasser und Limonade aus der Apotheke
Um Wasser schmackhafter zu machen, experimentierte man mit Essig, Zitronensäure, Orangen- und Zitronenrinde, Ingwer oder Süßholzwurzel, aber auch mit Sirupen aus Holunder, Himbeeren und anderen Beerensorten. Schon früh wurde die Herstellung, vor allem von Zitronenlimonade, in Kochbüchern beschrieben: „Man reibt die Schale von 1 oder 2 Citronen mit Zucker ab, preßt den Saft aus, läßt 1 Pfund Zucker mir Wasser dicklich werden, vermischt ihn mit dem Safte und abgeriebenen Schalen der Citronen, koch dieß eine kleine Viertelstunde, füllt es in Bouteillen, und gybt beim Gebrauche davon nach Belieben in ein Glas frisches Wasser“ (Anna Dorn, Neustes Universal- oder: Großes Wiener-Kochbuch, Wien 1827, S. 405).
Der Sprudel in der Limonade beruht auf einem Verfahren des deutschen Uhrmachers Jacob Schweppe. Aufbauend auf den Versuchen des englischen Chemikers Joseph Priestley, dem es 1767 erstmals gelungen war, künstliches Mineralwasser herzustellen, entwickelte Schweppe 1780 eine von ihm patentierte Methode, die es ermöglichte, Wasser mit Kohlensäure zu versetzen und so länger haltbar zu machen. Da dieses Sodawasser anfänglich für medizinische Zwecke gedacht war, wurde es zunächst in Apotheken verkauft. Dort wurde auch Limonade, die Kranken u. a. bei Fieber, Entzündungen und Blutwallungen verabreicht wurde, verkauft, denn bei „Erkältungen mit leichten Fieberschauern ist nichts wirksamer als eine sog. warme Limonade, welche man in möglichst großen Quantitäten des Abends vor dem Schlafengehen trinken sollte“ (Ilustrirtes Unterhaltungs-Blatt. Beilage Zum „Landwirth“, 22.09.1901). In Luxemburg bot u. a. die Apotheke Weckbecker-Heldenstein in der Großgasse Limonaden und Mineralwasser zu „sehr moderaten Preisen” an. In unweiter Nachbarschaft vertrieb auch der Apotheker François-Joseph Dargent (1805-1869) seine „limonades gazeuses et eaux de Seltz factices“. Dargent gründete später eine Limonadenfabrik in Eich, die damit warb, dank einer ausgezeichneten Wasserquelle überlegene Produkte anbieten zu können. Die Limonaden- und Mineralwasserproduktion in Eich wurde später von den Apothekern Jean Meyer (1869), Pierre Eloi Schoué (1874) und Xavier Perlia (1889) übernommen. Auch der Luxemburger Ingenieur Alphonse München (1850-1917) mischte im Limonadengeschäft mit, als er 1893 einen neuen Apparat zur Herstellung von Mineralwasser und Limonade inserierte: „Neptune“, dessen Handhabung sehr einfach und gefahrlos sei, konnte bis zu 130-160 Flaschen pro Stunde liefern. Nachweislich eingesetzt wurde diese Erfindung vom Limonadier Jean-Pierre Wester (1854-1939), wie ein Artikel über die Gewerbeausstellung 1894 in Luxemburg dokumentiert, bei der Wester „eine geschmackvoll arrangirte Pyramide seiner Fabrikate“ präsentierte (Obermosel-Zeitung, 11.09.1894). Jean-Pierre Wester war der Sohn von Nicolas Wester-Dumoulin, dem Gründer des Café-Restaurants „Jardin Wester“, auch als „Westeschgaart“ bekannt.
Limonadenfabriken in Luxemburg-Stadt
Nach und nach entstanden mehrere Limonadenfabriken in Luxemburg. Um 1880 gründete Jean-Baptiste Warisse (wahrscheinlich 1848-1891) eine Mineralwasser- und Brauselimonadenfabrik. Im Handels- und Adreß-Kalender von 1882 wurden nur er und der Apotheker Schoué in der Kategorie „Limonaden-Fabrik“ angeführt. 1892 inserierte Jean-Pierre Welter (1872-1921) die Eröffnung einer Limonade- und Selterswasserfabrik, die mit dem neuen System der Kugelflasche warb. ½ Flasche Selterswasser wurde für 10 Centimes, ½ Flasche Limonade (Framboise, Orange, Citron) für 15 Centimes angeboten. Kugelverschlussflaschen waren vor dem Aufkommen von Bügelverschluss- oder Kronkorkenflaschen für den Verkauf von kohlehaltigen Getränken sehr verbreitet, wobei Vorsicht geboten war. So verlor der Limonadenfabrikant J. P. Weber aus Diekirch 1929 ein Auge, nachdem es aufgrund eines Glasfehlers zu einer Explosion beim Befüllen einer Flasche gekommen war.
Bereits ein Jahr nach der Gründung gewann indes die Firma Welter 1893 auf der internationalen Lebensmittelmesse in Brüssel eine goldene Medaillenurkunde. 1900 zog die Firma an den Äußeren Ring (Boulevard extérieur, heute Boulevard Grande-Duchesse Charlotte). Nach dem Tod des Eigentümers wurde die Firma J. P. Welter von dessen Frau Anne Goerens (1880-1966) und später vom Schwiegersohn Michel Wagner-Welter (1892-1969) weitergeführt. Im Luxemburger Handels-Adressbuch von 1900 wurde Welter als eine von drei existierenden Mineralwasser- und Limonadenfabriken in Luxemburg-Stadt aufgeführt, im ganzen Land waren es neun. In der Ausgabe für 1907/08 stieg die Zahl auf 15. Darunter war u. a. Jean Welter-Fischer (1872-1940) aus der Feldgenstrasse (rue d’Anvers), der spätestens seit 1896 im Limonadengeschäft tätig war. Werbeanzeigen in den Tageszeitungen lassen jedoch erahnen, dass es noch weit mehr Anbieter auf diesem Gebiet gab, von denen einige nur kurzzeitig existierten, während andere über einen längeren Zeitraum erfolgreich waren. Nicht alle jedoch schienen es mit der Qualität ihrer Ware so genau genommen zu haben. Am 28. August 1911 berichtete das Luxemburger Wort von Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen bei verschiedenen Limonadenverkäufern, deren Limonade, entgegen dem Gesetz, mit Saccharin hergestellt worden war. Weiter hieß es: „Um Mißverständnissen vorzubeugen, wollen wir gleichzeitig mitteilen, daß sich unter den betr. Limonadenfabrikanten die HH. J. P. Wester, Äußerer Ring und Welter-Fischer-Feldgen, nicht befinden.“ Teilweise gab es auch Preisabsprachen, wie eine Anzeige im Luxemburger Wort vom 15. Juli 1918 erahnen lässt: „Unterzeichnete Limonadenfabrikanten [J. P. Welter, Lauff-Schneider, Jean Welter, Fr. Houdremont, Witwe J. B. Kaell, C. Mich] der Stadt Luxemburg beehren sich ihrer werten Kundschaft mitzuteilen, daß sie durch die enorme Steigerung sämtlicher Herstellungs- und B[e]triebskosten gezwungen sind ab 16. Juli 1918 eine Erhöhung von fünf (5) Centimes pro Flasche Limonade vorzunehmen.“
Champagner-Limonade – ein Dorn im Auge der Antialkohol-Vereine
Im Süden des Landes machte die Firma Bel-Val 1898 den „lobenswerthen Versuch […] dem reinen Mineralwasser Syrop oder Citronensäure oder Wein zuzusetzen, um so auch ein angenehmes alkoholfreies Gesellschaftsgetränk herzustellen, das als Genußmittel der Gesundheit nur förderlich ist“ wie das Luxemburger Wort am 26. August 1898 berichtete, oder – wie eine Reklame anpries – „ein wohlschmeckendes und hygienisch absolut tadelloses Getränk […] welches sich für Jedermann, besonders aber für Damen und Kinder eignet“. Bel-Val produzierte auch sogenannte Champagner-Limonade, „welche durch ihren ausgezeichneten Geschmack und ihren perlenden Schaum an den edlen Wein erinnert, dessen Namen sie zugleich mit dessen erfrischenden und stimulirenden Eigenschaften entlehnt hat“ (Obermosel-Zeitung, 19.08.1902) und die laut den Betreibern gegen Influenza und Fieber helfen sollte. Schon 1895 wurden von den Gebrüdern Stollwerck aus Köln Brause-Limonaden-Bonbons mit verschiedenen Geschmacksrichtungen in der Luxemburger Presse beworben, mit Hilfe derer durch Aufgießen von Wasser und Wein eine „Champagner-Imitation“ hergestellt werden konnte. Die Champagner-Limonade war den Anhängern der Abstinenzbewegung ein Dorn im Auge, erschwerte sie doch ihren Kampf gegen den Alkoholmissbrauch. Durch den Zusatz von schaumerzeugenden Mitteln erinnerte die Limonade beim Ausschenken an Bier, womit die Limonadenproduzenten sich „das Vorurteil, das im Publikum zu Gunsten des Bieres oder eigentlich zu Gunsten seines Aussehens herrscht“ zu Nutze machten, um die Konsumenten zu täuschen, ein Umstand, den es nachdrücklich zu bekämpfen gelte, wie 1902 in der Abhandlung Ueber die alkoholfreien Getränke des Arztes Georg Keferstein angeprangert wurde. Aus Mondorf, das für sein Heilwasser bekannt war, stammte eine weitere bekannte Luxemburger Limonade, die, neben Tafelwasser, von der 1927 gegründeten Fabrik „Cristal Mondorf“ hergestellt wurde und die eine Reklame von 1939 folgendermaßen bewarb: Cristal Citron, eine „feine, erfrischende Zitronen-Limonade“ und Grappa-Orangine, ein „Orangen-Getränk, unerreicht an Aroma und Wohlgeschmack“. Auch hier erinnerte der Namen an einen alkoholhaltigen Namensvetter und wäre bestimmt nicht im Sinne der Mäßigkeitsbewegung, ebenso wenig wie nachstehende Aussage im Luxemburger Wort vom 8. Juni 1898: „Wenn die Limonade mit etwas Wein vermischt wird, so schmeckt sie ganz vorzüglich.“ Und auch die Firma Underberg warb bereits 1900 in Luxemburger Tageszeitungen damit, dass ein Teelöffel des Bitterlikörs Selterswasser in „eine durststillende, vortreffliche Limonade“ verwandeln könne.
Das Los der Limonadenverkäufer
Für die Kritiker waren auch die Limonadenbuden selbst eine „zweckmäßige Einrichtung, die halbwüchsigen Schlingeln einen süßlichen Vorgeschmack der Wirtshausgetränke prompt und ohne üble Nachwehen liefert[en]“ (Nationalzeitung und Landwirt, 07.05.1928). Beliebt waren die Limonadenpavillons, die etwa am Pariser Platz, in der Marie-Theresienavenue, der Neutorstraße oder der Arsenalstraße (gegenüber der „Charly’s Gare“) zu finden waren, aber auch bei Langfingern und „umherlungernden Buben“, die sich „an den vorhandenen Flüssigkeiten gütlich“ taten (Luxemburger Wort, 15.06.1901). Da es jedoch keine alkoholischen Getränke zu stehlen gab, wurden die Täter in der Presse auch als „Temperenzler“, also Anhänger der Abstinenzbewegung, verspottet. Die Obermosel-Zeitung forderte 1906 sogar mildernde Umstände für die Diebe von zwei Flaschen Mondorfer Wasser, das wegen seiner abführenden Wirkung bekannt war, denn hätten sie „von ihrer Beute den richtigen Gebrauch gemacht, so wird man sie schwerlich fassen, denn dann laufen sie wahrscheinlich schneller als die Polizei.“ Man mokierte sich über die Entwendung eines Schokoladenautomates, von dem allerdings die Langfinger „erst später feststellten, daß der Automat leer war, so ließen sie ihre Beute unterwegs im Stiche“ (Escher Tageblatt, 04.12. 1938).
Doch nicht nur die Diebstähle setzten den Budenbetreibern zu. Schon 1905 machte sich die Zeitung Der arme Teufel Gedanken über das Los der Limonadenverkäufer und prangerte die Ausbeutung der Arbeiter durch die Aubettenbesitzer an: „Diese Proletarier befinden sich im Sommer von morgens halb 7 Uhr bis abends 9-10 Uhr in den Kasten. Festen Lohn erhalten sie keinen, sondern für jede verkaufte Flasche Limonade bekommen sie einen halben Sou.“ Oft wurden die Limonadenhäuschen von Frauen betrieben, die sich so von Frühjahr bis Herbst ein kleines Zubrot dazu verdienten. Gesucht wurden die tüchtigen Verkäuferinnen für die Trinkhallen über Zeitungsanzeigen von der Firma Welter, der auch die Bude am Eicherberg gehörte und die besonders populär schien, da man von hier einen schönen Ausblick genoss – und später wohl auch wegen der Limonadenverkäuferin mit dem „bräunlichen Gesichtsteint, [dem] grauschwarz melierte[n] Haar und [dem] überaus scharfe[n] Auge“, die fast so etwas wie die Schutzpatronin der Autofahrer in der Hauptstadt geworden war. „Nach Jahren, wenn diese Frau einmal gestorben sein wird, werden die Menschen sich wundern, weshalb an jener Kurve plötzlich so viele Unglücksfälle sich ereignen. Und nur wenige von denen, denen sie heute das Leben rettet oder die sie vor einer unangenehmen Nervenerregung schützt, werden sich ihrer erinnern“ (Nationalzeitung und Landwirt, 07.05.1928).
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