Der Nationalkomponist Jean-Antoine Zinnen
Am 16. Mai jährt sich der Todestag von Jean-Antoine Zinnen zum 125. Mal. Die Suche nach musikalischen Quellen zum Komponisten der Luxemburger Nationalhymne gestaltet sich auf den ersten Blick schwierig, denn im Gegensatz zu anderen Luxemburger Komponisten, gibt es von Zinnen keinen in sich geschlossenen Nachlass. Das bedeutet, dass Lebensdokumente und musikalische Materialien auf mehrere Archive im Großherzogtum verteilt sind.
Die Nationalbibliothek verwahrt unter anderem Vereinsbestände, die bisher unbekannte Quellen zu der Person Zinnen zu Tage fördern.
Die Familie Zinnen
Jean-Antoine Zinnen wird 1827 in Neuerburg (D) geboren. Nach dem Tod seiner Mutter, zieht seine Familie zunächst nach Wiltz, dann nach Diekirch und schließlich nach Fels (Larochette). Der Vater Jean-Baptiste Zinnen (1796-1869), der Musiker und erster Dirigent der neugegründeten Philharmonie de Larochette ist, unterrichtet seine Kinder in den Grundlagen.
Die Anfänge in der Militärmusik
Mit 15 Jahren – 1842 – wird Jean-Antoine als élève-cornet im 1. Jägerbataillon in Echternach unter Ferdinand Hoebich (1813-1900) rekrutiert. In den späten 1840ern wird ein weiteres Bataillon in Diekirch zusammengestellt, wo eine weitere Militärmusik entsteht. Für den freien Posten als Kapellmeister bewirbt sich Zinnen im Jahr 1847 und besteht die Prüfung vor der Einstellungskommission mit Bravour.
Auf die Zeit als Dirigent der Militärmusik geht das heute älteste bekannte musikalische Dokument von Zinnen zurück. Es handelt sich um ein Heft, das insgesamt vier Stücke beinhaltet, eine Komposition und drei Arrangements. Der Langsame Marsch ist von Zinnen für (Militär-)Blasorchester komponiert und auf den „Muttergottesvorabend 24. Mai 1851“ datiert. Die Besetzung und die ausgereifte Form lässt vermuten, dass es sich hierbei nicht um Zinnens erste Komposition handelt. Die Authentizität des Dokumentes wird durch die Unterschrift auf Seite 14 belegt.
Während seiner Zeit als Kapellmeister des 2. Jägerbataillons in Diekirch engagiert sich Zinnen ebenfalls im lokalen Musikwesen. Er unterrichtet die Schüler am Progymnasium in Musik und gründet 1851 den Männergesangverein Liedertafel. Als erster Dirigent der Liedertafel aus Diekirch ist er laut den Festbroschüren bis 1854 im Amt. Allerdings scheint dieser Rang für die beiden letzten Jahre eher symbolischer Natur gewesen zu sein, denn zum 15. November 1852 reicht Zinnen beim Militär seine Kündigung ein. Grund ist sein Wechsel als Professor für Blasinstrumente an die Musikschule der Stadt Luxemburg. Möglicherweise ist deshalb der aus silberbeschlagenem Ebenholz gefertigte Dirigentenstab als Abschiedsgeschenk zu verstehen, denn die Inschrift besagt: „La Liedertafel de Diekirch à son Directeur de Musique J. A. Zinnen, le 1er Dec. 1852“.
Das Werden eines Nationalkomponisten
Mit Zinnens Ruf als Professor für Blasinstrumente an der Musikschule der Stadt Luxemburg im Jahr 1853 festigt sich seine Verwurzelung im Vereinsleben der Stadt Luxemburg. Sukzessive übernimmt Zinnen die Leitung der Stadtmusik, der Musiksektion der Rettungsgesellschaft Pfaffenthal und Grund, der städtischen Philharmonie, des Theater-Orchesters und der Gesangvereine der Gym, der Lyre und der Harmonie.
Wegen Zinnens unermüdlichem Einsatz für die Gesangsektion der Gym überreicht ihm der Verein 1875 eine goldene Taschenuhr mit der Gravur: „La Société de Gymnastique à Mr J. A. Zinnen Luxembourg le 12. 4. 1875.“ Die Uhr, die augenscheinlich von der prestigeträchtigen Schweizer Firma Breguet stammt, ist in Wahrheit eine Fälschung, die sich durch die Inschrift „Spiral Breguet“ verrät. (Vielen Dank an Nicole Sahl, Konservatorin im Literaturarchiv in Mersch für diesen wertvollen Hinweis).
Zinnens Verankerung in das Musikvereinsleben trägt zur Folge, dass er Festlichkeiten in der Stadt Luxemburg musikalisch gestalten kann, die ebenfalls einen patriotischen Unterton tragen. Weniger ausgeprägt ist dieser bei dem Geburtstagsgruß, den die Stadtmusik im April 1856 in Form des Jubiläums-Festmarsch Leopold Heinrich von Wedell, Militärgouverneur der Bundesfestung Luxemburg, zum 60jährigen Dienstjubiläum überbringt. Patriotisch ausgerichtet sind die Einweihungsfeierlichkeiten der ersten Eisenbahnlinien im Oktober 1859 in Luxemburg-Stadt, zu denen Zinnen ebenfalls eine Kantate für Männerchor a cappella setzt.
Ons Heemecht
In seiner Funktion als Direktor der städtischen Musikschule nimmt Zinnen ebenfalls an Entscheidungen von politischer Tragweite teil. Auf Initiative von Professoren der Musikschule und anderen Wohltätern wird 1863 der Allgemeine Luxemburger Musikvereins (ALM) gegründet.
Zu den primären Aufgaben des ALMs gehört die landesweite Vernetzung von Vereinen und die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes durch die Organisation von Musikfestivals oder -wettbewerben. Im Sinne der Gemeinschaft ist deshalb die Aufführung von Kantaten oder Liedern im sogenannten Monstrekonzert die Norm. Chöre und Orchester mit mehreren hundert Musizierenden proben im Verein die Stücke ein und finden sich dann zusammen um eine riesige Körperschaft zu bilden.
Für die Konzerte bedarf es der lithographischen Massenreproduktion von Musikalien für den raschen und günstigen Versand mit der Post. Aus diesem Kontext stammt die erste erhaltene Version der späteren Nationalhymne Ons Heemecht. Das Datum vom 25. März 1864 stellt den Zeitpunkt der Fertigstellung eines handschriftlichen Dokumentes dar, das im chemischen Prozess auf Stein verätzt wird. So entsteht die Lithographie der Partitur, die zugleich die älteste Fassung des Liedes ist, das im Juni 1864 a cappella uraufgeführt wird. Das einzig erhaltene Autograph der Heemecht, eine Fassung mit Männerchor und Orchesterbegleitung, ist erst 1865 entstanden. Es handelt sich dabei nicht um eine Fehldatierung, sondern sagt etwas über den Stellenwert von autographem Material und den Umgang in der Praxis mit „Originalversionen“ von Musikstücken im 19. Jahrhundert aus.
Le Diapason
Unter dem Namen Le Diapason veröffentlicht Zinnen Stücken für Blasorchester im Privatverlag. Publiziert werden monatlich ein bis zwei Werke wie Geschwindmärsche, Polkas, Mazurkas, aber auch Fantasien oder Ouvertüren. Da es sich bei diesen Musikalien um lithographierte Konsumgüter handelt, wurde der Konservierung insgesamt wenig Wert beigemessen.
Die Philharmonie de Larochette scheint Abonnentin des Diapasons gewesen zu sein; in ihren Beständen finden sich die bisher einzig bekannten Quellen zu mehreren Stücken Zinnens, unter anderem zu der Ouvertüre L’Exposition de Vienne.
Die letzten Lebensjahre in Paris
Viele Details über Zinnens letzte 16 Lebensjahre in Paris sind nicht bekannt. Mit seiner Familie lässt er sich zunächst 1882 in der Nr. 1, Rue de la Coutellerie im Quartier Marais nieder.
Die Stücke, die J. A. Zinnen während seines Parisaufenthaltes komponiert, deuten auf eine Rezeption vornehmlich in Salons hin; die Besetzungen der Stücke sind eher klein gehalten, wie z. B. bei dem humoristischen Klavierlied Les vacances du p’tit Bob, dem Streichquartett Marche silencieuse et sérénade oder der Operette Le Loup (komp. verm. 1894), die explizit als „opéra comique de salon“ betitelt sind.
Sein Notenpapier kaufte Zinnen zu einem großen Teil beim Musikalienhändler Lard-Esnault, in der Rue Feydeau. Kunden dort waren auch andere Größen wie Charles Gounod, Camille Saint-Saëns und Claude Debussy. Eine Bekanntschaft kann allerdings nicht nachgewiesen werden.
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