Der hundertjährige Musiker
Zum 50. Todesjahr von Pol Albrecht (1874–1975)Pol Albrecht wurde am 23. Mai 1874 in eine musikalische Familie hineingeboren. Er kam als letztes von zehn Kindern auf die Welt, von denen nur fünf das Erwachsenenalter erreichten. Die Familie lebte in der Kaserne am Heiliggeistplateau.
Vater Guillaume Albrecht stammte aus Sachsen-Anhalt und zog als junger Mann nach Luxemburg, um Militärmusiker in der Freiwilligen-Kompagnie zu werden. Auch Pols Mutter kam aus einer künstlerischen Familie – sie war Schwester des Dichters Caspar Mathias Spoo, der zudem als Abgeordneter sozialpolitisch aktiv war und die erste Rede auf Luxemburgisch im Abgeordnetenhaus hielt. Pol Albrecht lernte Klarinette und Geige am hauptstädtischen Konservatorium und gab mit 14 Jahren die Schule zugunsten seiner musikalischen Ausbildung auf. Sein Ziel, Militärmusiker wie sein Vater zu werden, erreichte er bereits mit 15 Jahren unter Kapellmeister Gustav Kahnt. Kahnt nahm sich des jungen Musikers an und unterrichtete ihn ebenso wie Dominique Heckmes, Kirchenmusiker an der Kathedrale, in Harmonielehre, Komposition und Orchestration.
Albrecht komponierte vor allem Märsche und Theatermusiken, hinterließ aber auch weltliche Lieder und Chorwerke, Kirchenmusik sowie Stücke für Sinfonieorchester.
Aus der Ehe mit Victorine Soisson stammen fünf Kinder und zahlreiche Nachkommen, wie das Foto anlässlich seines 100. Geburtstages zeigt. Pol Albrecht starb am 8. Mai 1975 mit fast 101 Jahren in Luxemburg-Stadt.
Ein Galakonzert zu Pol Albrechts 100. Geburtstag
Der 100. Geburtstag im Mai 1974 wurde mit einem Galakonzert im Stadttheater gefeiert, bei dem Albrecht zwischen Ministerpräsident Pierre Werner, Großherzogin Joséphine-Charlotte und Großherzog Jean Platz nahm. Auf dem Programm des Konzertes standen ausschließlich Albrechts Werke.
Der Bühnenbildner des Stadttheaters, Josy Greisen, zeichnete für einen Artikel im Luxemburger Wort den Jubilar inmitten anderer Dirigenten der Militärmusik.
50 Jahre im Dienst der Militärmusik
Pol Albrecht stand 50 Jahre im Dienst der Militärmusik: als Klarinettist und Geiger spielte er anfangs unter den Dirigenten Gustav Kahnt und Edmund Patzké, anschließend 28 Jahre lang unter Fernand Mertens. Unter Mertens war Albrecht zehn Jahre lang Vizekapellmeister, bevor er am 17. Januar 1938 selbst Dirigent der Militärmusik wurde. Nach eineinhalbjähriger Amtszeit ging Albrecht am 23. Mai 1939 mit 64 Jahren in Ruhestand, betätigte sich jedoch weiterhin als Dirigent in verschiedenen Musikgesellschaften. Er dirigierte die Fanfaren von Düdelingen, Grund, Niederkorn, Berburg, Strassen und Hamm sowie La Luxembourgeoise in der Hauptstadt. Außerdem leitete er die Chöre in Merl und Clausen.
Theatermusik
Dass Albrecht die Musik zu 50 Theaterstücken geschrieben hat, überrascht weniger, wenn man bedenkt, dass er in eine Zeit hineingeboren wurde, in der in Luxemburg das Theater aufblühte. 1876 wurde durch eine Bürgerinitiative eine Theatergesellschaft gegründet, die die Errichtung des ersten Theatergebäudes initiierte. Dazu wurde das frühere Mehlmagazin in der Kapuzinerkirche, die seit der Französischen Revolution nicht mehr als Ordensstätte diente, in ein Theater umgebaut. Die diensthabenden Musiker für die Theateraufführungen stammten aus der Militärmusik, sodass auch Pol Albrecht von Anfang an seinen Dienst im Orchestergraben absolvierte, was ihn nachdrücklich prägte. Seine erste Theatermusik stammt aus dem Jahre 1909, seine letzte schrieb er 1954. Es handelt sich meist um mehraktige Komödien, zu denen er Ouvertüre und Gesangseinlagen komponierte. Einem von Albrecht selbst geführten Kalender kann man den großen Erfolg der Musiktheateraufführungen zu Lebzeiten entnehmen. Demnach wurde etwa Teschend zwé Feier (Text: Willy Dumont) nach der Premiere 1915 ganze 174 Mal aufgeführt, und auch Hierzeléd 1913 (Text: Willy Dumont) oder Blanne Manöver 1938 (Text: Josy Imdahl) erfreuten sich ähnlicher Beliebtheit. Albrecht schrieb zudem die Musik zu den drei Sagen von Leo Berchem D’Siweburen, De Klautien vun Itzeg und De Sténhârt.
Märsche
Pol Albrecht hinterlässt der Nachwelt 62 Märsche, von denen einige ins Standartrepertoire der Musique Militaire Grand-Ducale eingegangen sind, darunter der Marche de l’Armée Luxembourgeoise, Patriae Fideles oder der Prince Félix-Marche. Der Marsch Lëtzebuerg de Lëtzebuergern (nach U Letzebuerg von Siggy vu Letzebuerg) wird regelmäßig vor dem Palais Grand-Ducal zur Wachablöse gespielt.
Das erste Letzeburger Zaldôte-Lidderboch
Im März 1921 brachte Albrecht das erste Letzeburger Zaldôte-Lidderboch beim 1876 gegründeten Luxemburger Musikverlag Wilhelm (Guillaume) Stomps heraus. Dem Vorwort kann man seine Beweggründe entnehmen: Angeregt von den Liedern ausländischer Soldaten während des Ersten Weltkrieges komponierte er Lieder für die Luxemburger Armee.
Die Geschichte mit dem »Taktierbengelchen«
Beim Dirigieren empfand Pol Albrecht herkömmliche Taktstöcke als zu gewichtig, denn es war üblich, besonders schöne, etwa aufwändig mit Silber verzierte Dirigierstäbe zu verwenden. Deswegen brach sich der naturverbundene Pol Albrecht regelmäßig bei Spaziergängen dünne Ästchen von Sträuchern ab, an derem unteren Ende er einen Korken befestigte, um sie als Taktstock zu verwenden, wie er in einem Interview anlässlich seines 90. Geburtstages 1964 erzählt (Säi Liewen, säi Wierk mit Raymond Tholl. Hörbeispiel n° 12).
▪ Eine Auswahl an Dokumenten zu Pol Albrecht ist in den Vitrinen vor dem Rara-Lesesaal im ersten Stock bis Ende Oktober 2025 ausgestellt.
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