Tour de Frantz Zu einer humoristischen Sonderbeilage des „Gukuk“ (1924)

Luxemburgischer Bestand

Claude D. Conter

Vor hundert Jahren fuhr Nicolas Frantz (1899-1985) in seinem zweiten Profijahr und bei seiner ersten Teilnahme an der Tour de France 1924 sogleich aufs Podest.

Nach 15 Etappen und zwei Siegen bei Bergankünften musste er sich nur Ottavio Bottecchia geschlagen geben, der das gelbe Trikot von der ersten bis zur letzten Etappe trug. Bereits während des Rennens kannte die Euphorie in den Luxemburger Medien keine Grenzen.

Nationale Frantz-Hymnik

Um das Ausmaß der Verehrung bereits 1924 zu verstehen, sei an eine Anekdote erinnert. Am Tag nach Frantz’ Sieg in Straßburg am 14. Juli und am Vorabend des Etappenstarts in Metz hatte sich eine Delegation der Union luxembourgeoise de Strasbourg im Elsass eingefunden, um Frantz zu ehren. Nach der Überreichung eines Zigarettenetuis in Silber stimmte man die Nationalhymne an und dichtete noch eine weitere Strophe dazu:

O Letzeburg, du stolz Natio’n,
De’ klengst am Völkerbond;
Haut hiéwt d’ganz Welt dech op den Tro’n
Well sie dech dichteg fond.
Deng Kanner dir all Ee’er mân
Am gro’ssen „Tour de France“.
Mir halen durfir he’ch deng Fahn
A ruffen:  Vive de Frantz!

Vor allem die Sportjournalisten hatten bereits vor dem Beginn der „Rennerei um Frankreich“ (De Gukuk, 06.07.1929) zu einem „Frantzfieber“ (03.05.1924) in Luxemburg beigetragen. So wurden den Erfolgen des „Nationalcracks“ eine identitätsstiftende Funktion und das Potenzial der sozialen Kohäsion angedichtet, denn „Frantz ist das Bindeglied zwischen hoch und niedrig, zwischen reich und arm.“ Alle Bürger seien geeint bei Vivat-Rufen („Und alles winkt und jubelt dabei / in patriotischem Siegesgeschrei“, 15.12.1923). Die Frantz-Verherrlichung nahm geradezu hagiographische Züge an. So gilt der Fahrer als einende Kraft, als Botschafter Luxemburgs in Europa (03.05.1924), als nationales Aushängeschild mit „Verdiensten auf geographisch-touristischem Gebiete“ (23.07.1927), als kraftstrotzender „Nationalmuskelini“ (06.09.1924), als Erlöserfigur („Wundertäter“, 19.07.1924, „unser Nationalheiliger ‚Frantz von Mamer‘“, 22.09.1923), als Impulsgeber für Handel und Wirtschaft („unsere National-Lokomotive“ anlässlich der Diskussionen um die Eisenbahnkonzessionen, 03.01.1925) oder als Motivator („Conférencier, Champion, Home-Trainer“, 10.12.1927). Bereits 1922 bei der Belgien-Rundfahrt wurde sein Sieg mit dem caesarischen Trikolon veni, vidi, vici gefeiert („Da kam Frantz – sah und –siegte“, 26.08.1922).

Ironie und Satire

Die 1922 von Jean Fohrmann gegründete deutsch- und luxemburgischsprachige Zeitung De Gukuk machte sich über die Jahre hinweg über das „Frantzfieber“ lustig. Sie nahm auf humoristisch-spöttische Art und Weise sowohl die überschwängliche Stimmung wie auch die Frantz-Berichterstattung aufs Korn – allerdings liebevoll, um nicht den Zorn der zuweilen irrationalen Heldenverehrer auf sich zu ziehen. Dazu gehörten Witze über den Fahrer und die Fans, „Die 10 Gebote des wahren Frantzverehrers“ (19.07.1924) oder „Die zehn Gebote des Tour de France-Begleiters“ (10.07.1926), und die Kritik an Politikern, welche die Erfolge des Sportlers für sich vereinnahmten.

De Gukuk nahm sich aber insbesondere der euphorisierten Sportjournalisten an („daß ich homerisch besinge die göttlichen Waden des Wackren, / Der da den Ruf seines Landes, des Vaterlands, ruhmbekränzt trug / Über Iberiens Berge durch Galliens Gefilde zum Meer“, 15.10.1927). Angesichts der sich überschlagenden Superlativ-Rhetorik scherzte man über die sprachlichen Heldendenkmäler der modernen Sport-Panegyrik: „Einer unserer glänzendsten Nationaldichter hobelt und feilt augenblicklich an einem Epos in 100 Gesängen herum, worin er nacheinander Frantz mit Herakles, Achilles, Gedeon, dem heiligen Aloysius, Peter von Aspelt, der Melusina, Johann dem Blinden, Paul Eyschen und sich selber vergleicht.“ Tatsächlich scheint es, als wolle der Überbietungswettkampf in der Berichterstattung nicht nur den Champion ins Licht stellen, sondern sich die Sportbarden selbst.

„Vas y, Nik ! Wichs se ! Huel se, Nik !“

Am 31. August 1924 erschien die vierseitige Gukuk-Sonderausgabe Tour de Frantz mit 13 Karikaturen von Albert Simon, einem „authentischen Routenbericht“ und 18 Werbeanzeigen als Rückblick auf die Ereignisse. Sie besticht in erster Linie durch einen selbstironischen Metatext zum Sportjournalismus. Demzufolge verfügt die Gukuk-Redaktion über wenige Kenntnisse zum Thema Radsport, exzelliert hingegen im kulinarischen Wissen. Auf der Reise nach Paris wird vor allem gefuttert, etwa „eine „Beforter Dauerwurst, Salami, Sardinen, Salade russe, Gänseleberpastete, was weiß ich alles.“ Später sollte die Karikatur auf den verfressenen Luxemburger in der Literatur nur noch in Norbert Jacques’  Groteske Die Limmburger Flöte (1927) geharnischter und frecher sein. Übrigens sei auch Frantz kein Kostverächter; er verzehre sogar während des Rennens Champagner, Hektoliter Bier und Hähnchen, was die Identifikation der trägen Bürger mit dem Sporthelden natürlich befördere.

Wie lächerlich eine patriotische Sportberichterstattung klingen musste, wird anhand von hyperbolischen Figuren und kruden Darlegungen exemplifiziert. Frantz’ Misserfolg bei Etappen wird mit absonderlichen Begründungen erklärt; so werden die zahllosen, wiederholten Reifendefekte (500 in einer Etappe) auf den Neid der Götter (12.01.1924) oder auf eine allgemeine Verschwörung zurückgeführt, die in den Folgejahren in der siebenteiligen Kolumne, Ein Frantzkomplott, ausgemalt wird und wonach „Antonio, der rote Calabrese, der geheimnisvolle Chef der Anticyclofascistenbande Die Rächer Bottechias“, „das Werkzeug einer Gruppe Großindustrieller“, durch Bestechungsversuche, Schummelei und Gewalt den Sieg Frantzens verhindern wolle (02.07.1927). Bereits 1924 wurde (natürlich augenzwinkernd) an der These von der Konspiration der italienischen Faschisten gestrickt, die den Gesamtsieg verhindern wollten.

Wiederholt parodierte De Gukuk die Sportjournalisten und die Frantz-Begeisterung der Luxemburger, ihren unbändigen Patriotismus, die Belanglosigkeit der Nachrichten über den Rennfahrer und die eher mitfiebernde als berichtende Darstellung. So warnte De Gukuk folgerichtig vor „Sport als Volksbelustigung“ (16.08.1924), die von den weitaus wichtigeren politischen Ereignissen ablenke. 1932 monierte Thériente alias Jean-Pierre Welter, der über ein Dutzend Gedichte zu Frantz im Gukuk veröffentlichte, im Gedicht Tour de France 1932 mit dem Vers „Die Zeiten sind böse, doch Frantz ist gesund“, wie unbedeutsam doch die Sportberichterstattung angesichts von Faschismus und Nationalsozialismus sei. 

Erschienen in Die Warte, 13. Juni 2024.

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